Respekt und Folter haben etwas gemeinsam: Beide sind Methoden der Kommunikation. Zunächst mag der Vergleich abwegig erscheinen – Respekt ist eine Tugend und ein Imperativ menschlichen Miteinanders. Er ist human und moralisch. Folter entbehrt all dieser Eigenschaften.
Dennoch wird sie beim Verhör von Terroristen auch von freiheitlichen Regierungen als Druckmittel in der Gesprächsführung eingesetzt. Verhöre sind letztlich nichts anderes als Dialoge unter verschärften Bedingungen.
Wir können daher Respekt und Folter als Gesprächstechniken miteinander vergleichen, indem wir ihre Wirksamkeit in Extremsituationen der Kommunikation hinterfragen.
Der amerikanische Verhörspezialist Matthew Alexander (Pseudonym), der Mitglied eines Spezialteams der US-Armee auf Anti-Terror-Mission im Irak war, hat in seinem Buch How to Break a Terrorist (Vgl. Alexander, Matthew: How to Break a Terrorist – The U.S. Interrogators Who Used Brains, Not Brutality, to Take Down the Deadliest Man in Iraq. Free Press, 2008.) genau das getan.
Mit überraschendem Ergebnis: Respekt ist seinen praktischen Erfahrungen nach effektiver als Folter. Alexander erreichte damit, was seinen Kollegen zuvor misslungen war. So erhielt er bei seinen Vernehmungen die Informationen, die im Sommer 2006 die Ausschaltung des irakischen al-Qaida-Führers Abu Musab al Zarqawi ermöglichten.
Selbst bei den schwierigsten aller Gespräche zahlt es sich also mehr aus, den Respekt des Kontrahenten zu gewinnen, als gewaltsame Methoden der Überzeugung anzuwenden. Das erhebt den Respekt zum Königsweg der Kommunikation – kein anderes Mittel der Rhetorik ist so effektiv in seiner unmittelbaren Wirkung wie auch in seiner langfristigen Bindungskraft.
Wie aber verschafft man sich Ansehen selbst bei Todfeinden? Begleitet von Beispielen aus Alexanders Erfahrungen im Irak möchte ich Ihnen dafür einige Strategien vorstellen, die Sie auch für Ihre persönlichen Zwecke ganz besonders in konfliktbehafteten Gesprächssituationen einsetzen können.
Auf Augenhöhe mit dem Feind
Die erste und bedeutsamste Maßnahme ist ebenso einleuchtend wie anspruchsvoll: Wir verschaffen uns Respekt, indem wir unserem Feind auf Augenhöhe begegnen. Alexander suchte in seinen Verhören im Irak stets nach Anknüpfungspunkten, um die verhörten Häftlinge bei ihrem eigenen Standpunkt abzuholen. So erforschte er die Motivation einzelner al-Qaida-Anhänger, dem Terror-Netzwerk beizutreten.
Beispielsweise berichtete ein Gefangener im Verhör von seiner anspruchsvollen Zweitfrau. Er hatte sich al-Qaida angeschlossen, um ihren Wünschen finanziell gerecht werden zu können.
Damit hatten die Vernehmer ein Lockmittel gefunden und waren in der Lage dem Mann zu demonstrieren, dass sie seine Situation ernst nahmen: Sie versprachen ihm rechtlich wirksame Scheidungsunterlagen, um ihn zum Reden zu bewegen. Damit lieferten sie ihm einen Anreiz, den die radikalislamische al-Qaida nicht bieten konnte.
Alexander beschreibt seine Vorgehensweise in solchen Fällen als Perspektivwechsel, vergleichbar einem Schauspieler, der in die Rolle seines Gegenübers schlüpft:
„Die besten Vernehmer sind ausgezeichnete Schauspieler. […] Sie können ihre Reaktionen und Vorbehalte in einer Ecke ihres Bewusstseins verstauen und einen „Doppelgänger“ zum Vorschein kommen lassen. Welcher Doppelgänger am ehesten Informationen vom Insassen bekommt, variiert von Gefangenem zu Gefangenem. […] Der Doppelgänger entnimmt seine Stichwörter jedem bisschen Information, das er über die Motivation des Gefangenen bekommen kann.“ (Vgl. How to Break a Terrorist, S. 91; eigene Übersetzung)
Unserem Gegenüber Respekt zu demonstrieren, indem wir ihm auf Augenhöhe begegnen, ist eine enorm wirkungsvolle Strategie in jeder Form der Kommunikation.
Fühlt sich unser Gesprächspartner in seinen Bedürfnissen ernst genommen, wird er eher bereit sein, auch unseren Wünschen nachzukommen. Schließlich weiß unser Kontrahent, dass auch wir etwas von ihm wollen – es ist daher meist zwecklos, ihm das Gegenteil vorzugaukeln. Zudem stärkt das beiderseitige Entgegenkommen die Beziehungsebene – ohne die in keinem Dialog langfristig gute Ergebnisse zu erzielen sind.
Anerkennung für den Feind
Neben der Motivation des Gesprächspartners stellen auch Anerkennung und die Suche nach einem gemeinsamen Nenner äußerst zugkräftige Anknüpfungspunkte dar. Es waren diese Techniken, die Matthew Alexander im Fall Abu Musab Al Zarqawi zum Erfolg führten.
Alexander begann das entscheidende Verhör mit Komplimenten und versicherte dem Häftling, einem Mann namens Abu Haydar, dass sein Ruf als herausragender Kenner des Islam ihm vorauseile. Er lenkte das Gespräch also mit der Religion gezielt auf ein Thema, das eine Stärke des Verhörten darstellte, und sorgte so dafür, dass sich Haydar inhaltlich auf vertrautem Boden und zudem geschmeichelt fühlte.
Das Mittel der Anerkennung ist gerade dann besonders effektiv, wenn wir es mit einem Gesprächspartner zu tun haben, der uns nicht eben wohlgesonnen ist.
Alexanders Erfolg liefert den Beweis: Sogar unter Todfeinden kann diese Technik der Gesprächsführung funktionieren. Zeigen wir einem Kontrahenten durch Anerkennung unseren Respekt, anstatt ihn unter Druck zu setzen oder zu bedrohen, stärken wir seinen Willen, uns zuzuhören. Wir geben ihm die Möglichkeit, seine Stärken auszuspielen, und sorgen so dafür, dass er sich in der Diskussion wohlfühlt.
Niemand wird wohlwollend argumentieren oder nach produktiven Lösungen suchen, wenn wir ihn in die Ecke treiben. Im Zweifel wird er eher aus der Situation aussteigen und sich verschließen, oder aber mit den gleichen unlauteren Mitteln reagieren. Wer dagegen Anerkennung spürt, wird in der Regel auch seinerseits mehr Respekt in den Dialog einbringen.
Darüber hinaus achtete Alexander bei der Vernehmung sorgfältig darauf, sich in der Sprache des Gefangenen auszudrücken:
„Später habe ich Muhummad, der Friede sei mit ihm, und die Geschichte des Islam studiert.“ (Vgl. How to Break a Terrorist, S. 245; eigene Übersetzung)
So stellte er seine Kenntnis der kulturellen und sprachlichen Gepflogenheiten unter Beweis: „Friede sei mit ihm“ ist ein Segensspruch, den Muslime häufig der Erwähnung von Propheten anschließen.
Mit solchen Details gewann Alexander als ebenbürtiger Gegner den Respekt des Kontrahenten. Alle Vernehmer vor ihm waren mit ihren Versuchen gescheitert, eine Verbindung zu Haydar herzustellen, und hatten lediglich dessen Verachtung zu spüren bekommen. Alexander gelang der Brückenschlag – und führte zum gewünschten Ergebnis. Es war Haydar, der schließlich die entscheidenden Informationen über den Verbleib Zarqawis preisgab.
Die Suche nach Gemeinsamkeiten ist ein direkter Weg zu gegenseitiger Anerkennung.
Diese Strategie freilich setzt voraus, dass wir tatsächlich Respekt vor der Herkunft und Lebenseinstellung unseres Kontrahenten haben und den Dialog mit ihm für wichtig genug erachten, um seine Position verstehen zu wollen.
Mit ein bisschen Smalltalk ist es hier nicht getan: Ihr Gegner in einer wichtigen Verhandlung wird Ihnen keinen Respekt entgegenbringen, weil sie ihm ein Kompliment für seine Krawatte machen. Respektsbezeugungen funktionieren nur, wenn sie glaubwürdig sind und eine echte Bedeutungsebene herstellen.
Aufrichtigkeit gegenüber dem Feind
Wir können davon ausgehen, dass intelligente, gebildete al-Qaida-Anhänger um die Methoden der Ermittler wissen und damit rechnen, auf diese Weise verhört zu werden. Und dennoch kam Alexander mit Respekt als Gesprächsstrategie zum Erfolg. Warum ist das so?
Der Autor liefert uns in How to Break a Terrorist auch dafür ein Beispiel: „Meine besten Verhöre waren diejenigen, in denen ich meine wahren Gefühle gezeigt habe. Eine meiner besten Techniken war, mich für die Fehler zu entschuldigen, welche Amerika im Krieg begangen hatte. Wenn diese Entschuldigung ernst gemeint war, waren das die Gelegenheiten, in denen ich im Vernehmungszimmer am besten war. Und wenn ich mich den Gefangenen zugewandt und ihnen gesagt habe, dass ich mit ihnen zusammen an der Zukunft Iraks arbeiten möchte, dann war das ehrlich gemeint.“ (Vgl. http://rt.com/politics/torturing-terrorists-inefficient/; eigene Übersetzung)
Dass Alexander diese Einlassungen schwer gefallen sein müssen, können wir uns vorstellen – insbesondere, wenn er unmittelbar vor einem Verhör neues Videomaterial von Terroristen gesehen hatte, das deren menschenverachtende Grausamkeit unter Beweis stellte.
Am Schluss des obigen Zitats wird jedoch deutlich, wie sich die Effektivität eines respektvollen Umgangs auch auf den Ermittler selbst ausgewirkt hat: Wer unter solchen Bedingungen die Kooperation des Kriegsgegners erreicht, hat erkannt, dass es tatsächlich Gemeinsamkeiten auch mit dem ärgsten Feind gibt.
Hier ging es beiden Parteien darum, die Zukunft des Irak zu gestalten; nur verfolgen die Kontrahenten gegensätzliche Wege zu diesem Ziel. Alexander bewies Aufrichtigkeit mit dem Eingeständnis, dass dabei auch seiner Seite Fehler unterlaufen sind.
Viele Kommunikationstechniken haben allein dadurch einen schlechten Ruf, dass sie eben Methoden sind. Es ist einfach, dem Gegenüber seine Glaubwürdigkeit kategorisch abzusprechen, nur weil er ein Ziel verfolgt. Oft wird dafür das Paradigma der Authentizität herangezogen.
Echter Respekt beruht jedoch immer auf Aufrichtigkeit – und funktioniert deshalb auch als Methode. Er ist keine Maske, die wir uns nach Belieben aufsetzen und auch wieder abnehmen können. Manchmal können wir nur überzeugend sein, wenn wir auch zu Zugeständnissen bereit sind – zum Beispiel, indem wir eigene Fehler einräumen.
Gewinnen Sie das Ansehen Ihres Feindes
Was wir aus Alexanders Erfahrungen lernen können, ist die überragende Wirkungsmacht von Respekt selbst in den schwierigsten Situationen menschlicher Kommunikation. Sogar im Konflikt mit Todfeinden fahren wir mit Respekt besser als mit Drohungen oder Gewalt.
Unser Ziel in besonders heiklen oder emotionalen Konflikten sollte daher immer lauten, das Ansehen unseres Kontrahenten zu gewinnen, indem wir ihm aktiv Respekt vorleben – durch Augenhöhe, Anerkennung und Aufrichtigkeit.
Zum Schluss noch einmal die wichtigsten Eckpunkte, frei nach den Verhörmethoden von Matthew Alexander:
– Begegnen Sie Ihrem Gegenüber stets auf Augenhöhe.
– Demonstrieren Sie Anerkennung für die Stärken Ihres Kontrahenten.
– Suchen Sie nach bedeutungsvollen Gemeinsamkeiten.
– Bleiben Sie selbst dem Feind gegenüber immer aufrichtig.
– Gestehen Sie – wenn nötig – auch eigene Fehler ein.
Kommen Sie gut an!
Ihr René Borbonus
Über den Autor
René Borbonus zählt zu den führenden Spezialisten für professionelle Kommunikation im deutschsprachigen Raum. Als Kommunikationstrainer, Buchautor, Coach und Vortragsredner bewegt er sich bewusst an der Schnittstelle zwischen Theorie und Praxis.
Dabei beherrscht er es wie kein Zweiter, Sachlichkeit und Begeisterung in freier Rede wie im Gespräch zusammen zu führen. Professionell geleitet er Führungskräfte, Unternehmer und andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens auf dem Weg zu Ihrem persönlichen Auftritt.
Sei es in seinem prominent besetzten Trainings, sei es in persönlichen Coaching mit Bundestagsabgeordneten und Vertretern aus der Wirtschaft, sei es im Zuge von Lehraufträgen und Vorträgen an renommierten Universitäten: Praxisnah und unterhaltsam vermittelt er rhetorische Fertigkeiten, die alles andere als verstaubt erscheinen. Mehr Infos unter www.rene-borbonus.de
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