„Seine Leidenschaft finden.“ – Eine kurze und scheinbar harmlose Floskel, die in der heutigen Zeit sehr häufig verwendet wird. Mittlerweile ist „seine Leidenschaft finden“ der heilige Gral für eine Generation, der es so gut geht, dass sie sich selbst eine neue Aufgabe gegeben hat, um das Leben wieder kompliziert und schwierig zu machen.
„Seine Leidenschaft finden“ ist eine große Last, die auf den Schultern Millionen junger Menschen liegt. Jeder, der seine Leidenschaft nicht gefunden hat, lebt in einem Hamsterrad und ist eigentlich ein dummer Mensch, der den Sinn des Lebens nicht verstanden hat.
Man soll alles abbrechen. Neue Wege gehen. Alle wollen einen nur ausbeuten und deshalb soll man „sein eigenes Ding“ machen. Arbeitgeber sind schlecht und sowieso nur Zeitverschwendung. Lieber sofort ein Business starten, Kurse erstellen, irgendwas verkaufen und durch die Welt reisen.
Super Idee.
Das diese Botschaft aber vor allem für junge Menschen extreme Nachteile hat, wird nicht genannt. Das diese Botschaft viele Menschen komplett in die falsche Richtung treibt, leider auch nicht.
Sehen wir den Tatsachen ins Auge: Junge Menschen haben keine Ahnung.
Ja, sie kennen sich in der Regel besser mit neuer Technologie aus, kennen die Pop-Kultur, sind dynamisch, leistungsfähig, lernwillig, manche sind auch sehr intelligent – aber echte Ahnung, echte Erfahrung, die hat fast niemand.
Und trotzdem erwartet jeder enorme Ergebnisse, weltbewegende Erleuchtung und eine verantwortungsvolle Rolle, sobald er endlich „seine Leidenschaft“ gefunden hat.
Das kann ja nichts werden.
Die Last von jemandem, der intensiv nach seiner Leidenschaft sucht, ist gigantisch. Man möchte seine Leidenschaft irgendwie formulieren und kann es nicht konkret, weil es einfach nicht möglich ist. Und so sucht man immer weiter, bis man komplett verunsichert ist. Denn die meisten Menschen interessieren sich für viele Dinge und können auch mehrere Dinge sehr gut. Das ist nichts Besonderes, sondern war schon immer so.
Es ist okay.
Wer krampfhaft nach seiner Leidenschaft sucht, aber bisher nur wenige unterschiedliche Themengebiete kennengelernt hat, braucht sich nicht wundern, dass er nicht weiterkommt.
Egal ob mit 20 oder 55 Jahren: Menschen, die nicht viel ausprobiert haben, können auch nicht einfach sagen, worin sie gut sind und was ihnen Spaß macht.
Sie haben nämlich keinen blassen Dunst von den Dingen, die man auf der Welt machen kann. Sie wissen nicht, ob Vorstellung und Realität einer Aufgabe oder eines Aufgabengebiets identisch sind.
Fantasie ist super, aber wenn man seine Leidenschaft finden möchte bzw. etwas, das einem wirklich Spaß macht, muss man verschiedene Dinge ausprobieren.
Genau deshalb gibt es Lehrgänge, Weiterbildungen, Universitäten, Praktika, Trainee Programme, usw. Viele probieren kurz etwas aus und sagen dann: „Ist nicht meine Leidenschaft, keinen Bock auf Hamsterrad, ich mach was Eigenes.“
Das ist auch super, wenn man eine konkrete wirklich gute Idee hat, die wirklich zu einem passt. Allerdings ziemlich dämlich, wenn nicht.
Denn dann verpasst man vielleicht die Chance, seine Leidenschaft wirklich zu finden, Erfahrungen zu sammeln, seine Persönlichkeit zu entwickeln, wertvolle Kontakte zu knüpfen, sich selbst besser kennen zu lernen, zu reifen und vor allem: wirkliche Möglichkeiten / Marktlücken zu entdecken, um die Welt ein kleines Stückchen besser machen können.
Stattdessen enden vielen Menschen, die nach ihrer Leidenschaft suchen und deshalb alles blockieren, was nicht nach Leidenschaft aussieht, mit einem Kurs / EBook / Blog darüber: „Wie Du Deine Leidenschaft findest“.
Was sagst Du zu dem Thema? Was ist aus Deiner Sicht der beste Weg, um herauszufinden, was man liebt?
Björn says
Toller Artikel, auch wenn er gerne etwas ausführlicher hätte sein können.
Endlich sagt es mal jemand. Bin für mich nach langem Nachdenken zu dem Schluss gekommen, dass reines Nachdenken/Meditieren oder sonst etwas einen kein Stück weiterbringt.
Man muss akzeptieren, dass man selbst ’sein Ding‘ noch nicht gefunden hat und das ok ist. Auf die Suche machen entspricht Ausprobieren.
Und vielleicht sollte man sich sogar damit abfinden, dass man ’seine Leidenschaft‘ nie finden wird.
Ich glaube was zählt ist eine möglichst große Integrität aufzubauen im Leben. Integrität bezogen auf eigene Werte/ Wunschlebensort/ Lieblingstätigkeiten/ Freund usw.
Jan says
Endlich mal ein kontroverser Artikel zum Thema „Ausstieg aus dem Hamsterrad“ und „Finde Deine Leidenschaft“.
Ich habe mich schon gefragt, wie es einem jungen, leichtgläubigen Menschen ergehen wird, der den Rattenfängern auf den Leim gegangen ist, und nun keine Arbeit mehr hat?
Manche „Anti Hamsterrad Blogs“ könnten m. E. etwas differenzierter an die Sache herangehen und auch die negativen Seiten beleuchten. Das vermisse ich bei vielen dieser Blogs.
Schöner Artikel, danke.
Gruß Jan
Artur@30tausend says
Hallo Björn,
vielen Dank Dir für Deinen Kommentar. Stimmt absolut! Das Problem ist eben auch, dass viele Menschen sich totdefinieren wollen – dabei sollten sie einfach mal mehr ausprobieren.
LG
Artur
Artur@30tausend says
Hallo Jan, schön, dass Dir der Beitrag gefällt!
Wir sehen das auch so und haben uns deshalb verpflichtet gefühlt, diesen Beitrag zu schreiben.
Aussteigen kann super sein, wenn man denn eine gute Idee und die nötigen Fähigkeiten hat. Aber es ist eben auch immer mit Risiken verbunden.
LG
Artur
Yasemin says
Hallo Artur und Michael,
auch mir gefällt der Artikel sehr, weil ihr fairerweise auch auf die andere Seite der Medaille hinweist, was es denn heißt, sein eigenes Ding zu machen. Die Kosten, die man dafür zahlen muss und was eigentlich die Bedingungen dafür sind.
Natürlich kann man seiner Leidenschaft nachgehen, aber meines Erachtens verhindert der Glaubenssatz: „Ich muss meine Passion, DiE Leidenschaft, finden“, dass man vielen möglichen Tätigkeiten leidenschaftlich nachgeht, aber dafür muss man wie ihr gut feststellt auch neuen Erfahrungen nachgehen, um feststellen zu können, was es denn alles gibt.
Nach meiner Beobachtung hat aber auch die Ungeduld von vielen damit zu tun, alles sofort und jetzt haben zu wollen. Bestärkt durch die Illusion, die eben von viele Coaches undifferenziert propagiert wird. Einerseits gut, da Menschen animiert werden Dinge einfach zu machen und zu starten, aber außer Acht lassend, dass manche Dinge auch ihre Zeit brauchen.
Leidenschaft ist ein mentaler Zustand im Kopf.
Und Mastery braucht Zeit und Geduld.
Gruß.
Christoph Teege says
Hallo Artur,
das ist genau meine Meinung. Seine Leidenschaft zu finden ist das eine, damit sein Lebensunterhalt zu finanzieren ist das andere 😉
Warum nicht „sowohl-als-auch“?
Man kann doch hauptberuflich arbeiten und nebenbei z.B. einen Blog aufsetzen, um über seine Leidenschaft zu bloggen. Dann habe ich nicht diese anfängliche Existenzangst und kann sehr risikoarm mir ein Business aufbauen.
LG
Christoph
Bernadette says
Sehr gut! Ich finde es unbedingt notwendig, derlei auch mal mit Weitblick und Mut zu thematisieren. Als „Oldie“ der schon mit 16 Jahren auszog- die ureigene Leidenschaft zu verwirklichen (wenn ich sie dann mal gefunden glaube…) und nach vielen Selbstfindungsphasen und Wegen….stets auf der Suche nach der einen, der absoluten und wahren Leidenschaft (inatürlich dann auch noch inkl vieler, teurer Ausbildungen und Sackgassen etc)…..muss sagen: es ist manchmal absolut nicht erstrebenswert- sein „eigenes Ding“ zu machen. Manchmal halt ja, dann wieder nein. So ist es im Leben, ein Auf und Ab halt. Ich würde mich allerdings immer, absolut immer wieder für diese Suche entscheiden- muss ich anfügen! Und zu der Such nach der Leidenschaft sei mal deutlich gesagt; bedenke was Du Dir wünschst-denn Du könntest es bekommen.
Ähnliches ist ja auch im Bereich „BLOGGER/BLOGGEN“ abzusprechen. Hier empfehle ich einfach mal einen fantastischen Blogbeitrag von Annika Thierfeld: 20 Januar 2015 „Mein Blog. Meine Follower. Meine Fans. Die “dunkle Seite” der sozialen Medien“.
Alleine die erstaunlich vielen und positiven Rückmeldungen/Kommentare zu ihrem kritisch hinterfragenden Blogbeitrag zeigen genau das, wie auch hier Euer Thema- als wesentlich, endlich mal offen gesagt und geschrieben zu werden. Wie gesagt: DANKE, ein echt wertvoller Beitrag! LG aus Bonn
Link: marketingcafe.de/mein-blog-meine-follower-meine-fans-die-dunkle-seite-der-sozialen-medien/
Dario says
Ich finde den Artikel gut. Aber ist es nicht bei den meisten Menschen so, dass sich eine Leidenschaft häufig über einen langen Zeitraum herauskristalisiert (häufig in der Jugend) und man merkt es gar nicht wirklich?
Auch vertrete ich die Meinung, dass es nicht unbedingt gut ist seine Leidenschaft zum Beruf zu machen, sondern eine Sache, die man gerne macht. Denn um im Beruf erfolgreich zu sein muss man in etwas gut sein. Wenn man eine Leidenschaft hat, heißt das nicht automatisch, dass man gut darin ist. Siehe z.B. Michael Jordan seine Leidenschaft ist Baseball erfolgreich ist er aber mit Basketball geworden.
Außerdem besteht die Gefahr, dass die Leidenschaft irgendwann verfliegt.
Grüße
Dario
Artur@30tausend says
Hallo Yasemin,
danke Dir für Deinen Kommentar. Stimmt absolut. Geduld ist nicht gerade die Stärke unserer Generation und die extrem hohen Erwartungen führen nur dazu, dass man noch ungeduldiger wird.
LG
Artur
Artur@30tausend says
Hallo Christoph,
das ist auf jeden Fall ein super Weg, um seine Interessen, Stärken, Vorlieben und Leidenschaften kennenzulernen, ohne dabei viel riskieren zu müssen bzw. sich an etwas zu binden, das einem vielleicht gar nicht mal gefällt.
LG!
Artur
Artur@30tausend says
Hallo Bernadette,
danke Dir für Deinen Kommentar und Deine Erfahrungen. Auch wir glauben, dass man sich „auf die Suche“ machen sollte. Doch vielleicht mit weniger Härte gegenüber sich selbst und weniger Druck auf den Schultern. Denn die Suche ist genauso interessant wie das Ziel.
LG
Artur
Artur@30tausend says
Hallo Dario,
danke Dir für Deine Meinung. Die Talente eines Menschen zeigen sich bereits in der Kindheit – doch wie man diese Talente einsetzt bzw. welchen Stellenwert man ihnen in seinem Leben gibt, muss man schon selbst entscheiden.
Ich bin der Meinung, dass Menschen immer in vielen Dingen gut sind. Es ist nur eine Frage der Fokussierung, welche Talente später zu echten Stärken werden. Denn nur wenn man sich mit einem Bereich beschäftigt, Erfahrungen, Wissen und Fehler sammelt, bekommt man am Ende eine außergewöhnliche Fähigkeit.
LG
Artur
Dominik says
Ich finde auch, dass jungen Menschen zu viel Druck bei der Jobsuche gemacht wird. Es wird verlangt, dass Teenager / Jugendliche eine „Entscheidung fürs Leben“ treffen sollen – diese Aussage würde mich auch in Panik versetzen! Aber mal ehrlich, wer bleibt heutzutage schon ein Leben lang im selben Business? Ein Job ist kein fixer Bestandteil mehr, der sich nur selten noch einmal ändert. Im Gegenteil: Arbeiten ist zum dynamischen Prozess geworden: So wie sich die Fähigkeiten und Einstellungen ändern, so ändert sich auch der Beruf. Genauso wie sich eine Person im Laufe des Lebens ändert, ändern sich auch ihre Vorstellungen und Leidenschaften – eine erzwungene Suche ist also in meinen Augen nicht sinnvoll.
Verena Linhart says
Hallo!
Euer Artikel hat sofort meine Aufmerksamkeit angezogen, da ich mich mit diesem Thema beruflich beschäftige. Vor kurzem habe ich einen Beitrag auf meinem Blog dazu verfasst: Die vier Phasen Deiner Metamorphose: verenalinhart.com/?p=639 .
Das kann schon ein paar Jahre dauern bis man wirklich sein Optimum gefunden hat und braucht mehrere Durchgänge der Transformation und Bewusstwerdung. Hierzu habe ich vor kurzem eine Podcast gestartet, wo ich Menschen interviewe, die durch ihre Geschichte andere informieren und inspirieren können. Das was immer dabei raus kommt: Der Weg ist das Ziel! Verlasse Deine Komfortzone!
Auf jeden Fall kannst Du nur neue Wege gehen, wenn Du neugierig bist und bereit bist Neues auszuprobieren. Ich selbst habe Jahrelang Hobbies, Interessen und Berufe ausprobiert solange sie mir Spaß gemacht haben bis der Tag kam, wo ich den Entschluss gefasst habe: Die Guten ins Töpfen, die Schlechten ins Kröpfen 😉 – soll heißen: Was will ich beibehalten? Was war eine gute Erfahrung, passt aber nicht zu mir?
Auch sollte das Thema Beruf(ung) nur in der Gesamt-Lebensvision betrachtet werden, um Zufriedenheit im Leben zu finden. 🙂
Und letztendlich geht’s darum das Leben, den Weg und alle Erfahrungen zu genießen und nicht zu verurteilen.
Verena Linhart – Lebe Deinen Stil!
Esther Kimmel says
… seiner Leidenschaft nachzugehen, kann sehr erfüllend sein.
Aber um jeden Preis seine Leidenschaft zu finden, kann auch zermürbend sein, besonders als Perfektionist. Da ist man unter Umständen besser bedient, sich einfach etwas authentischer und aufrechter im 60% Job zu geben statt ewig auf der Suche nach dem 100%-Nonplusultra zu sein.
michaela says
Ich entdecke mein inneres Feuer vor alllem dann, wenn ich ganz still werde. Aufhöre einem „so soll es sein“ nachzulaufen. Den Dingen ihren Lauf lasse und das Leben fließen darf.
Über mich selbst höre ich mich oft sagen, mein Leben läuft dann gut wenn ich mir selbst treu bin und meinem Herzen folge. Unabhängig davon ob dies meinem Umfeld gefällt oder nicht.
Jedoch immer mit der Intention, der Welt und all ihre Weseneheiten mit Respekt und Wertschätzung zu begegnen.
Jeder Tag birgt eine neue Chance, die inneren Impulse zu leben. Ich habe mir selbst verprochen, dass ich jenem, inneren Ruf ausnahmslos folge.
Michaela
Jan says
Hey ihr beiden,
Ich kann mich meinen Vorrednern nur anschließen: Gut, dass sich mal jemand kritisch zu diesem Thema äußert. Das Thema wurde in der Blogsphäre bisher wirklich sehr einseitig behandelt, was vielleicht in der Natur der Sache liegt, denn Bloggen ist ja für viele eine Leidenschaft.
Es gibt übrigens ein Institut (80000hours.org), welches sich wissenschaftlich mit der Frage befasst, nach welchen Kriterien man in Karrierefragen entscheiden sollte. Der Gründer des Instituts hat kürzlich einen TED-Talk gehalten. Die Leidenschaft kam darin nicht besonders gut weg 😉
Der Punkt ist: Vergleichen mit der Lebensarbeitszeit sind Leidenschaften eher kurzlebig. 80.000 hours empfiehlt, sich an den eigenen Fähigkeiten zu orientieren, viel auszuprobieren (das sagt ihr ja auch) und sich an der Lösung eines großen gesellschaftlichen Problems zu beteiligen. Wer das tut wird fast zwangsweise eine Leidenschaft entwickeln. Es geht also doch um Leidenschaft, allerdings nicht um die Leidenschaft, die man jetzt hat, sondern um die zukünftige Leidenschaft.
Für eine Zusammenfassung des Talks in deutscher Sprache einfach oben auf meinen Namen klicken (ich hoffe der Hinweis ist okay, andernfalls einfach löschen).
Viele Grüße,
Jan